Titel | INDat Report 08_2025 | Oktober 2025
Schlussverteilung im Insolvenzverfahren: Praxisprobleme, Stolpersteine und Reformvorschläge
Die Krux mit der Nullstellung
Köln. Das Insolvenzverfahren von TelDaFax umfasst rd. 500.000 Gläubiger, das von Flexstrom rd. 650.000 Gläubiger und bei Air Berlin sind es über eine Million Gläubiger – die Liste mitunter lang andauernder, also über 10 oder 15 Jahre laufender und noch nicht beendeter bzw. aufgehobener Großverfahren, denen Zigtausende Gläubiger zuzurechnen sind, lässt sich fortsetzen, z. B. Arcandor, Infinus und Thomas Cook. Wenn diese Fälle auf der Zielgeraden angekommen sind, steht noch eine Mammutaufgabe bevor: die Schlussverteilung. Bekanntermaßen kommt es erst zu einem Aufhebungsbeschluss, wenn die letzte Ausschüttung erfolgt ist bzw. dem Insolvenzgericht der Nachweis der sog. Nullstellung vorliegt. Das Ergebnis eines komplett geleerten Treuhandkontos zu erzielen, ist alles andere als eine leichte Aufgabe: Zum einen stimmen viele Kontoverbindungen und Adressen der Gläubiger nicht mehr oder die Gläubiger sind verstorben. Aufwendige Recherchen sind die Folge. Zum anderen gibt es noch kurz vor Schluss kleinste Zuflüsse zur Masse, die es auch unter die Gläubiger zu bringen gilt. Hier sind mitunter kreative Lösungen gefragt, um die Nullstellung zu erreichen. Auch wenn die Schlussverteilung in professionellen Verwalterkanzleien standardisiert und routiniert ist, bedeutet sie kleinteilige und mit großem Aufwand verbundene Recherchen, weil viele Einzelfälle dann doch wieder zeitraubende Probleme aufwerfen. Die »unberechenbare« Schlussverteilung hängt wie ein Damoklesschwert über den Kanzleien, vor allem bei derzeit steigenden Verfahrenszahlen und einer gleichzeitig hohen Anzahl noch nicht abgeschlossener Verfahren. Bei diesem finalen Baustein des Insolvenzverfahrens ist letztendlich der Gesetzgeber auf den Plan gerufen, um das Prozedere für alle Beteiligten zu vereinfachen. Aus der Praxis und mit Reformvorschlägen melden sich Teams aus den Verwalterkanzleien von Eckert Rechtsanwälte, Müller-Heydenreich Bierbach und Kollegen (MHBK) und Flöther & Wissing zu Wort, aus den Insolvenzgerichten Aurich, Düsseldorf und Leipzig äußern sich die Rechtspfleger Alexander Geyer, Lutz Erdmann und Yvonne Heine sowie für den Dienstleister STP Holding GmbH Frank Lembke und Ricardo Enders und für den Dienstleister Siegfried Solutions Claudia Radschuwait, die im Kontext der Schlussverteilung Verwalterkanzleien unterstützen. Aktuell kommt ab dem 09.10.2025 eine EU-Verordnung zur Anwendung, nach der Banken IBAN und Namen des Kontoinhabers abzugleichen haben – das betrifft also auch die Konten jedes einzelnen Gläubigers. Bedeutet diese Neuerung eine Erleichterung oder eine weitere Belastung für die Verwalterkanzleien?
Text: Peter Reuter
Dieser Vorgang ist zwar Routine in den eingespielten Abläufen einer professionellen Insolvenzverwalterkanzlei und betrifft in der Regel jedes eröffnete Insolvenzverfahren, doch stellt er die Kanzleien immer wieder aufs Neue vor enorme Herausforderungen und fördert ärgerliche Belastungen im Tagesgeschäft. Es betrifft bei faktisch abgeschlossenem Insolvenzverfahren die nach der entsprechenden öffentlichen Bekanntmachung einzuleitende Schlussverteilung auf der Grundlage des Verteilungsverzeichnisses, nachdem die Insolvenztabelle aktualisiert und die Quotenberechnung finalisiert worden ist. Je länger ein Insolvenzverfahren bis dahin gedauert hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Daten der Gläubiger wie Kontoverbindung und Adresse nicht mehr mit denen zum Zeitpunkt der Forderungsanmeldung übereinstimmen bzw. Gläubiger, sogar deren Erben, inzwischen verstorben sein können. Dieses Dilemma bei den Quotenausschüttungen mit den Rückbuchungen auf das Treuhandkonto ist vor allem dann besonders ausgeprägt, wenn es sich um Fälle mit Zigtausenden Gläubigern handelt, bei denen zudem die direkte Gläubigerkommunikation seit Langem ruht. Man stelle sich z. B. die Schlussverteilung der insolventen Reiseveranstalter FTI Touristik GmbH und BigXtra Touristik GmbH, die den Kern des drittgrößten europäischen Reisekonzerns FTI Group bildeten, vor. Insgesamt hätten ein Jahr nach Insolvenzantrag bereits mehr als 73.000 Gläubiger Forderungen in einer Gesamthöhe von knapp 980 Mio. Euro angemeldet, teilte Insolvenzverwalter RA Axel W. Bierbach (MHBK) im Mai dieses Jahres mit. Schätzungen gehen allerdings von rd. 350.000 Gläubigern in diesem Großverfahren am AG München aus. Die Schlussverteilung dieses Falls liegt noch in ferner Zukunft, sodass es bis dahin vielleicht eine digitale Portallösung gibt, die auch die Abläufe der Schlussverteilung automatisiert, vereinfacht und verschlankt – dazu später mehr.
Um die Anzahl dieser Rückbuchungen bei der Quotenausschüttung wegen nicht mehr bestehender Kontoverbindungen vor allem bei Großverfahren, die sich mitunter aus vielerlei Gründen wie (Anfechtungs-)Prozesse über mehrere Instanzen und komplexe Verwertungen erst nach 10 oder 15 Jahren dem Abschluss nähern, zu reduzieren, nehmen die Kanzleien – in einem Abwägungsprozess von Aufwand und Nutzen – selbst vor der Ausschüttung eine Prüfung der Kontendaten vor oder sie werden vereinzelt vom Insolvenzgericht dazu aufgefordert, diese Prüfung vor der Quotenausschüttung sicherzustellen. Die zwölf Amtsgerichte in Bayern und Thüringen, die die Kanzlei MHBK bestellen, forderten die Insolvenzverwalter nicht dazu auf, die Daten der Gläubiger vor der Ausschüttung zu prüfen oder einen Datenabgleich mit dem Gläubiger vorzunehmen, erklären Verwalter RA Axel W. Bierbach und das Kanzleiteam der Schlussabteilung und Tabelle mit Angela Gras, Marie Hoffmann und Irmgard Ponath. Schließlich sei der Gläubiger in der Bringschuld. In der Praxis habe sich aber bei MHBK folgendes Vorgehen bewährt: Bei Verfahren bei einer Dauer von unter fünf Jahren würden die Gläubiger im Vorfeld der Schlussverteilung nicht angeschrieben – nur wenn die Bankverbindung im Forderungsanmeldeformular nicht hinterlegt sei oder keine gültige Geldempfangsvollmacht vorliege. Bei Verfahren mit einer Dauer von über fünf Jahren würden die Gläubiger im Vorfeld angeschrieben – ausgenommen seien die gängigen Gläubiger wie Krankenkassen und Finanzämter, da ihre Bankverbindungen bekannt seien. Diese Vorarbeit (Prüfung Rechtsnachfolger, Adressänderung bei jur. Personen) nehme das MHBK-Team bereits beim Verfahrensabschluss der Tabelle vor.
Enormer Aufwand im Missverhältnis zur Quote
Vor acht Jahren, im August 2017, hatte die Fluggesellschaft Air Berlin Insolvenz angemeldet. Mit 1,3 Millionen Gläubigern gilt dieses Verfahren als eines der größten und kompliziertesten in der deutschen Wirtschaftsgeschichte, hier liegen wie bei FTI Touristik die Schlussverteilung und alle damit verbundenen Probleme und Herausforderungen für Insolvenzverwalter RA Prof. Dr. Lucas Flöther (Flöther & Wissing) auch noch in weiter Ferne. Es komme gelegentlich vor, dass Insolvenzgerichte zur Aktualisierung der Daten auffordern, sagt RAin Mandy Nowitzki, Ansprechpartnerin für die Insolvenztabelle und die Verteilung bei Flöther & Wissing. »Wenn man ›auf gut Glück‹ unter Verwendung alter Bankdaten die Ausschüttung vornimmt, viele Rückbuchungen erhält und dann erst mit der Recherche beginnt, verzögert das den Verfahrensabschluss erheblich. In vielen Fällen ist man auch auf Bearbeitungszeiten von Einwohnermeldeämtern (EMA) und Nachlassgerichten angewiesen. Dies ist immer ein enormer Aufwand, der oft in einem eklatanten Missverhältnis zur Höhe der auszuzahlenden Quote steht.«
Bisher habe die Kanzlei Eckert Rechtsanwälte von keinem Insolvenzgericht eine Aufforderung zur Einholung/Prüfung der Kontoverbindungen der Insolvenzgläubiger erhalten, erklären RA Dr. Rainer Eckert und sein Team Verfahrensabschluss mit Wirtschaftsjuristin (LL. M.) Regina Adolf, RAin Tina Bernecker und RAin Winnie Walther. »In der Regel werden in Verfahren, die länger als zwei Jahre andauern, die Gläubiger frühestens bei Schlussrechnungslegung, spätestens nach dem Schlusstermin – ohne Aufforderung des Gerichts – angeschrieben und um Mitteilung der aktuellen Kontoverbindungen gebeten, um eine Ausschüttung zeitnah vorzunehmen. Auch Geldempfangsvollmachten von Gläubigervertretern müssen hin und wieder angefordert werden.« Dies geschehe zunächst in Form eines Serienbriefs, der über das Programm Winsolvenz an die in der Insolvenztabelle hinterlegte Adresse des Gläubigers generiert wird. Sofern Postrückläufer eingingen, begännen zeitnah kanzleiintern die Recherchearbeiten. Dabei würden zunächst einfache und kostengünstige Recherchen bevorzugt (Akte, Internet einschließlich Handels-/Unternehmensregister, Telefon, Fax), ggf. folge eine kostenpflichtige Einwohnermeldeamtsanfrage, sofern die Quote hoch genug ist, um die Kosten in Abzug bringen zu können. Auch seien kostenneutrale Amtshilfeersuchen über das Insolvenzgericht möglich. Nach Bekanntgabe der neuen Adresse fordere man erneut die Bankverbindung an. Falls die Einwohnermeldeamtsanfrage ergibt, dass der Insolvenzgläubiger verstorben ist, erfolge ein Anschreiben an das Nachlassgericht. Dieses übermittelt entweder die Namen und Adressen der bekannten Erben oder teilt mit, dass keine Erben bekannt sind. Sodann würden die Erben angeschrieben. Sofern auch hier die Adressen bereits veraltet sind, müsse wiederum eine Einwohnermeldeamtsanfrage gestellt werden. Sollte bereits ein Erbe verstorben sein, erfolgt auch hier eine Anfrage beim Nachlassgericht. Werden die Bankverbindungen mitgeteilt, finde sodann die Quotenauszahlung statt. Sollte die Anfrage trotz nochmaliger Erinnerungen nicht beantwortet werden, werde mitunter noch versucht, den Gläubiger telefonisch oder per E-Mail zu erinnern. »Erfahrungsgemäß lässt sich die Angelegenheit so oft ohne größeren Aufwand klären und eine Hinterlegung vermeiden. Andernfalls wird ein entsprechender Hinterlegungsantrag gestellt.« Dazu und zu dessen mitunter hohen Hürden später mehr.
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Inhalt
Die kommende Ausgabe INDat Report 09_2025 erscheint am 06.11.2025.
Am 15.10.2025 ist Anzeigenschluss, alle weiteren Termine finden Sie auf www.der-indat.de.
Aktuelle Ausgabe: 01.10.2025
Umfang: 88 Seiten
Professoren & Hochschulen (aus 02_2025)
Vertreter vernachlässigter rechtlicher Schnittstellen
Prof. Dr. Sebastian Mock
Die junge Verwaltergeneration
Immer neue Pralinenschachteln
Michael Putze