Titel | INDat Report 09_2023 | November 2023

Wirecard, Leoni und Co.: Wenn die Interessen von Kapitalanlegern mit dem Insolvenz- oder Restrukturierungsrecht kollidieren

Spekulatives Gewinnstreben im Strudel des Mangelfalls

Wuppertal/Aachen. »Kapitalanleger« suchen sich für ihre Investitionen »Vermögenswerte«, von denen sie glauben bzw. ihnen durch eigene oder fremde Berater glaubhaft gemacht wurde, dass sich daraus in Zukunft attraktive »Gewinne« erzielen lassen. Konzeptionell können derartige Vermögensanlagen auf ganz unterschiedlichen Wegen vonstattengehen, beispielsweise in Gestalt von Darlehen, die die Kapitalgeber an andere Unternehmen ausreichen, in ganz unterschiedlichen Formen zum Teil sogar verbrieft durch »Wertpapiere« oder »Optionsscheine«, in Gestalt von Beteiligungen als Gesellschafter an Kapital-, insbesondere Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien, durch Übernahme von Kommanditanteilen in einer GmbH & Co. KG, häufig zu finden bei offenen oder geschlossenen Immobilien- oder Schiffsfonds, oder durch Erwerb von unmittelbarem (Mit-)Eigentum am eigentlichen Vermögensgegenstand, etwa einer Immobilie oder einer bestimmten Menge an Gold, an bestimmten Schiffscontainern, Kryptowerten und dergleichen mehr.
In die Abwicklung solcher Investitionen sind oft zahlreiche gut verdienende Dienstleister mit eingebunden. Sie erstellen Prospekte, kreieren vielseitige juristische Vertragswerke (meist AGB, Treuhand- und Gesellschaftsverträge), schaffen u. a. eine steuerrechtlich optimierte Grundlage. Das alles ist teuer und verbraucht einen nicht unmaßgeblichen Teil des Geldes. Bedenkt man nun, dass es viele superreiche Menschen auf dieser Welt gibt, die wirklich attraktive Investments lieber ganz allein realisieren und insoweit auch über ausreichende Finanzmittel verfügen, wird von Anlegern wohl viel zu selten die eigentlich wichtige »Plausibilitätsfrage« gestellt: Warum ist an dem konkret angepriesenen Vermögenswert niemand der ganz Großen ernstlich interessiert? Warum sucht man stattdessen jetzt möglichst viele andere Geldgeber? Bei genauerem Hinsehen kann jedenfalls nicht ernstlich verwundern, dass viele dieser Anlagemodelle über kurz oder lang notleidend werden. Nicht selten enden sie sogar in einem Insolvenzverfahren ohne Fortsetzungsperspektive.

Text: Rechtsanwalt Stephan Ries, WPK Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Wuppertal, und Rechtsanwalt Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, MönningFeserPartner, Rechtsanwälte/Insolvenzverwalter, Aachen

I. »Anlegerinteresse« ist nicht stets gleich »Unternehmensinteresse«

Die nachfolgende Untersuchung konzentriert sich schwerpunktmäßig auf Beteiligungen von Kapitalanlegern an sog. Publikums­gesellschaften, vor allem in der klassischen Form einer Aktien­gesellschaft (AG) oder Kommanditgesellschaft, bei der die Kom­ple­mentärin ihrerseits haftungsbeschränkt ist (so insbesondere die GmbH  &  Co.  KG). Reine Kapitalanleger erstreben über solche Beteiligungen eine möglichst hohe »Rendite«. Sie soll wunschgemäß höher ausfallen als einfache Geldanlagen bei einer normalen Geschäftsbank. Was bedeutet: Anfangs gelangt zwar Anlegergeld in das Unternehmen hinein; Dividenden- und andere Ausschüttungen ziehen aber später wieder viel Geld aus dem Unternehmen heraus. Das kann vor allem dann zu Spannungen führen, wenn das Unternehmen zuvor versprochene Gewinne gar nicht erwirtschaftet, sei es, weil es mit der Zeit an eigener Wirtschaftskraft verliert, sei es, weil anfängliche Prognosen fehlerhaft waren, oder sei es gar, weil auf Managementseite betrogen worden ist und/oder Vermögensbestandteile veruntreut worden sind.

In Unternehmenskrisen wird das knapp gewordene Geld regelmäßig für sehr viel dringendere Sanierungs- und Restrukturierungszwecke benötigt. Dazu existieren eine Reihe gesetzlicher Sondervorschriften (etwa §§  57, 62 AktG, §§  30, 31 GmbHG, §§  171, 172 HGB, §§  39 Abs.  1 Nr. 5, 135, 199 Satz 2 InsO), die für solche Konstellationen die Rechte von Gesellschaftern stark beschneiden und sogar gewisse Möglichkeiten eröffnen, bereits ausgezahlte Gelder in das Unternehmensvermögen bzw. eine spätere Insolvenz­masse zurückzufordern. Für solche Krisenlagen liegen Konflikte zwischen reinen Kapitalanlegern einerseits und denjenigen Beteiligten, deren Interessen sehr viel stärker auf die nachhaltige Unternehmenssanierung ausgerichtet sind, förmlich auf der Hand. Wo Unternehmenswerte erhalten bleiben sollen und eine vorhandene Infrastruktur zu Fortführungszwecken weiter benötigt wird, scheidet ein schneller Verkauf von »Anlagevermögen« regelmäßig aus. Ohnehin könnte daraus oft schon keine ausreichende Liquidität mehr gewonnen werden. Vielfach haben Unternehmen bereits solche Instrumente wie ein »Sale-and-Lease-Back« für sich genutzt bzw. die Anlagevermögenswerte bereits an andere frühere Geldgeber, deren Gaben jedoch inzwischen verbraucht worden sind, zur Sicherheit übertragen oder verpfändet. Auch kommen Sonderrechte etwa der Grundpfandgläubiger in Betracht (§§  1120 ff., 1192 Abs.  1 BGB). Ähnlich sieht es meist beim »Umlaufvermögen« aus: Die kaufmännischen Debitoren sind vorab im Factoring veräußert oder an frühere Geldgeber zediert worden; die Warenlagerbestände wurden sicherungsübereignet oder verpfändet. Bei Anlage- und Umlaufvermögensgegenständen kann schließlich ein Vermieterpfandrecht einschlägig werden (§  562 BGB).

Bezogen auf solche zugespitzten Krisenlagen gibt es dann oft ein »Vorher« und ein »Nachher«. Das bisher eingezahlte Geld geht den Kapitalanlegern verloren. Wo das Unternehmen vielleicht noch fortführbar ist, wollen neue Kapitalgeber meist das alleinige Sagen haben. Das macht aktuell der Fall Leoni deutlich, einer AG, die sich bereits seit Jahren in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befand und nun mithilfe des StaRUG und von Stefan Pierer als einzelnem Kapitalgeber saniert wird. Nach dem vorgelegten Restrukturierungsplan erfolgt für die bisherigen Aktionäre ein Kapitalschnitt auf »null«. Neue Aktien dürfen nur Stefan Pierer bzw. ihm gehörende Beteiligungsgesellschaften zeichnen. Mit Banken und Schuldscheingläubigern wurden Sonderlösungen vereinbart. Das AG Nürnberg hat, inhaltlich entsprechend berichtigt, am 21.08.2023 in seinem Handelsregister zu HR B 202 folgende Eintragung getätigt: »Durch den gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans, der durch den Restrukturierungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 21.06.2023 (RES 397/23), rechtskräftig seit dem 17.07.2023, bestätigt worden ist, wurde die Herabsetzung des Grundkapitals auf 0,00 Euro und anschließend die Erhöhung des Grundkapitals um 50.000.000,00 Euro und die Änderung des §  4 Abs.  1 (Grundkapital) der Satzung beschlossen. §  4 Abs.  5 und 6 wurden ersatzlos gestrichen. Die Kapitalherabsetzung ist durchgeführt.« Dementsprechend konnten die vorhandenen Aktien nicht mehr an der Börse gehandelt werden. Sodann fand unter neuem Aktionärsregime am 30.08.2023 eine weitere Hauptversammlung statt, welche nun auch die Satzung insgesamt inhaltlich neu fasste.

Das Geschehen erinnert an den viel diskutierten »Suhrkamp«-Verlagsfall, wo ebenfalls über ein »plangemäßes« Vorgehen (wenn auch damals unter dem Regime der InsO und nicht des StaRUG) ein Teil der Altgesellschafter an Beteiligungseinfluss spürbar verlor. Dort hatten bilanzierte Gewinne nicht vollständig an alle Gesellschafter ausgeschüttet werden können, weshalb das Verlagshaus einen Antrag zur Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren stellte (seinerzeit nach §  270 InsO a. F.). Es war aber von vornherein klar und wurde in einem Erörterungs- und Abstimmungstermin vom 22.10.2013 durch die Gläubigerversammlung per Insolvenzplan bestätigt, dass alle Gläubiger im Rang des §  38 InsO zu 100 % befriedigt werden. Die eigentlich spannenden Regelungsthemen bewegten sich auf der Ebene der »Rechtsformänderung«, wonach aus der bisherigen GmbH & Co. KG eine AG wurde. Gleichzeitig griff man mit den Stimmen der Mehrheitsgesellschafter in Beteiligungsrechte der Minderheit ein, d. h., eine bis dahin vorhandene Sperrminorität der Minderheitsgesellschafter sowie mit diesen vertraglich vereinbart gewesene Sonderrechte wurden beseitigt. Das Gewicht einer zumindest erheblichen KG-Beteiligung der Minderheit wurde zudem dadurch verwässert, dass man für die umgewandelte Gesellschaft zugleich eine deutliche Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien anstrebte. Infolge dazu vorgesehener Vinkulierung (§  68 Abs.  2 Satz 1 AktG) konnten – anders als noch bei der KG vereinbart – insgesamt alle ausgegebenen Aktien künftig nur noch mit Zustimmung des Unternehmens veräußert werden. Das AG Charlottenburg (36s IN 2196/13) hat diesen Plan letzthin bestätigt.

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